Edgar Reitz und Salome Kammer im Filmgespräch über Die Zweite Heimat im DFF Frankfurt
Am vergangenen Samstag, 12.8., gaben sich Edgar Reitz und Salome Kammer im Kino des DFF anlässlich der Aufführung der digital restaurierten Zweiten Heimat die Ehre. Im ausführlichen Filmgespräch mit Urs Spörri zeigten sich die beiden in guter Erzähllaune und bescherten den zahlreich erschienenen Zuschauerinnen und Zuschauern einen kurzweiligen und unterhaltsamen Abend.
Das gesamte Gespräch ist inzwischen (seit 27.08.23) im youtube-Kanal des DFF abrufbar (hier direkt zu Teil 1 und Teil 2), weshalb ich mich hier auf einige ausgewählte Aspekte beschränke.
Zum Titel des Filmes und zum Heimatbegriff
“Es ist in Deutschland mit dem Wort Heimat auch immer etwas wehmütiges verbunden, das Wort ist mit einer Verlusterfahrung verbunden, und das hat damit zu tun, dass Heimat auch im wesentlichen die Welt der Kindheit ist, und die Kindheit verlieren wir immer. Es ist auch ein Verlust der Unschuld, der damit verbunden ist. Und deswegen ist diese Vision ‘Heimat für immer’ oder als fester Besitz eine Illusion. Als Menschen können wir gar nicht anders als auf der Suche nach einer zweiten Heimat zu sein, das ist nämlich die Welt, die wir selbst durch unsere Bindungen, unsere Träume und unsere Arbeit gestalten. Die angestammte Heimat, unsere Eltern und unseren Geburtswort können wir nicht wählen, das ist alles jenseits unseres freien Willens. Und als Menschen brauchen wir die Erfahrung der Freiheit. Und diese Freiheit ist einfach in der Suche nach einer zweiten Heimat, die wir selbst gestalten, viel mehr zu verwirklichen.”
Zu den fünfjährigen Arbeiten an Die Zweite Heimat
S. K.: “Es dauerte fast ein ganzes Jahr, bis das Ensemble mit diesen starken Charakteren zusammengesetzt war, und innerhalb eines Jahres hatten zwei Schauspieler die Rolle des Hermann abgelehnt. Die konnten sich nicht vorstellen, sich so lange zu binden. Auch zwei Jahre wären denen zu viel gewesen. Der Dritte und unser Glücksfall war dann Henry Arnold.” E. R.: Das war für uns alle miteinander eine Erfahrung, die wir noch nie gemacht haben, wir haben uns gemeinsam zunächst einmal grenzenlos dem Stoff und der Situation hingegeben. (…) Wir wussten selber nicht, worauf das hinausläuft. Es hat in diesen fünf Jahren zwei längere Unterbrechungen gegeben, weil auch das Drehbuch noch gar nicht für alle 13 Folgen fertig war. Man kann sowas gar nicht im Voraus schreiben und festzulegen, bei so einem Werk verwandelt sich die Arbeit in das Leben, irgendwann hat man nicht mehr das Gefühl ‘wir arbeiten’, sondern das ist unser Leben, diesen Film zu machen.”
Zum epischen Erzählen
“Die Premiere war so eine grauenhafte Zitterpartie für uns alle. Wir zeigten den Film in vier Tagen, und wir dachen ‘was passiert mit dem Publikum’? Der Saal im Münchner Prinzregententheater war voll mit über 1000 Menschen, und es gab Wetten, ‘wie viele sind nach 26 Stunden noch da’? Und die besten Freunde sagten ‘vielleicht zehn’. Und am Ende hatten wir den Saal immer noch voll. (…) Es gibt eine innere Spannung die eine Sucht nach immer wieder neuen Begegnungen mit den Figuren erzeugt. Und die Erzeugung dieser Gefühle war wohl das Entscheidende, was wir in diesen fünf Jahren herausgefunden haben.”
Zur weiblichen Emanzipation in den 1960er Jahren
S. K.: “Edgar ist ja ein Meister im Portraitieren von Frauen, man glaubt ja gar nicht, dass das ein Mann geschrieben hat. Die Frauen sind ja in dem Film eigentlich stärker als die Männer, und es ist ein Freude, ihnen zuzusehen.” E. R.: “Das ist bis heute eine meiner wichtigsten Erfahrungen: Das Entscheidende an den Frauenkarrieren ist die Flexibilität, die Fähigkeit, auf Situationen des Lebens immer neu zu reagieren. Wir Männer werden hingegen dazu erzogen, unser Leben als Einbahnstraße zu planen. Diese Einbahnstraße wurde uns immer als Ideal verkauft, aber solche Ideen haben etwas monströses, es gibt keine Wahrheit, die für das ganze Leben gilt.”
Zur Weihnachtsgeschichte im Film 7 Weihnachtswölfe
“Weihnachten sie die Familienneurose par excellence, alle großen enttäuschten Erwartungen sind in der Weihnachtsgeschichte konzentriert, und mich hat es immer interessiert, die große Weihnachtslüge zu verfilmen. Was hier geschieht ist eine Parallelgeschichte, die von Stefan und Helga und die von Clarissa im Krankenhaus. Und die Sequenz mit Clarissa im Krankenhaus ist meine filmästhetische Lieblingssequenz des gesamten Werkes. Weil da so viele Ebenen miteinander gemischt werden, (…) das Ganze mit Weihnachtsmusik überladen. Das Ganze ist eine so süße giftige Mischung von Bildern und Empfindungen.”
Über das Erinnern
Es gibt dieses sehnsüchtige Wort von Goethe, “verweile doch”, dieses Bedürfnis festzuhalten, aber während wir das tun zerrinnt uns das alles zwischen den Händen, und die einzige Gewissheit ist die, dass alles endlich ist, und irgendwann das Leben mit dem Tod endet. Wir wären verloren wenn wir nicht ein Wundermittel in uns besäßen, und das ist die Erinnerung. Wir können uns an Vergangenes so lebhaft erinnern, dass wir es als Schatz mit uns herumtragen können. Und in diesem Sinne finde ich die Filmarbeit einen Trost, denn mit der Erfindung der Kinematographie ist es der Menschheit gelungen, visuelle und akustische Eindrücke aufzubewahren und wiederholbar zu machen. Der französische Dokumentarfilmer Chris Marker hat gesagt ‘Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich die Menschheit erinnert hat, bevor es den Film gab.’ (…) Mit der Erfindung der Kinematographie ist etwas mit der Menschheit passiert, das unser gesamtes leben verändert, denn wir haben auf die Weise einen Besitz ergriffen, die Vergangenheit unseres Lebens in einem viel umfassenderen Maß als es die Menschheit je konnte zu besitzen und vor unserem inneren Auge immer wieder neu befragen. Das ist der tiefste Sinn, ein Filmemacher sein zu wollen, denn da habe ich ein Wundergerät an der Hand, mit der mörderischen Zeit, die uns allen tagtäglich zwischen den Fingern verrinnt, zu spielen. Mit der Zeit zu spielen, das ist die eigentliche Errungenschaft der Kinematographie.”
Über schwarz-weiß und Farbe
“Für mich ist der Schwarzweißfilm ein Maßstab an künstlerischer Reinheit und Schönheit. Und ich habe mir gesagt, solange das künstlerisch richtig und vertretbar ist möchte ich meine Filme in schwarz-weiß drehen.”
Aufgezeichnet und transkribiert von Thomas Hönemann, Zitation nur mit Genehmigung und expliziter Quellenangabe.
in den Medien
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet Florian Balke.