Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

Der Hunsrück – Die Heimat der HEIMAT

“Mosel, Nahe, Saar und Rhein, schließen rings den Hunsrück ein.”

Mit diesem Merkspruch lernen Hunsrücker Schulkinder die geografische Einordnung ihrer Heimat im Herzen von Rheinland-Pfalz.

Der Hunsrück gehört zu den deutschen Mittelgebirgen. Als südwestlicher Teil des Rheinischen Schiefergebirges gehört es zu den älteren Gebirgen Deutschlands, deren Gesteine überwiegend aus dem Devon stammen und im Rahmen der variszischen Gebirgsbildung verfaltet wurden. Höchste Erhebung ist der Erbeskopf (816 m über N.N.).1

Wirtschaftliche Entwicklung

Ökonomisch betrachtet ist die Region nach wie vor sehr durch die Landwirtschaft geprägt. Die zivile Nutzung der ehemaligen Hahn Airbase unter der etwas irreführenden Bezeichnung “Flughafen Frankfurt/Hahn” hat nach den Abzug der Amerikanischen Truppen Anfang der 1990er Jahre für eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur gesorgt, die sich insbesondere am autobahnähnlichen Ausbau der B50 von der Autobahnabfahrt Rheinböllen (A 61) bis zur Hunsrückhöhenstraße (B 327) und weiter über Longkamp und die Ende 2019 fertiggestellte Hochmoselbrücke bis zum Autobahnkreuz Wittlich (A 1) zeigt. Die Kreisstadt Simmern hat diese Entwicklung insofern mit geprägt, als sich durch die bessere Verkehrserschließung viele große Einzelhandelsfilialen im Gewerbegebiet am östlichen Ortsrand ansiedelten – mit den üblichen Folgen nicht nur für den Einzelhandel in der Innenstadt, sondern auch in den umliegenden Orten.

Seit Beginn des Jahrtausends wird die Region auch intensiver touristisch erschlossen. Eine Vielzahl von Wanderwegen und Radtouren zeugt davon ebenso wie die Schaffung touristischer Hotspots wie die Ende 2015 fertiggestellte Geyerlay-Hängebrücke bei Mörsbach. Während die durch die Ausstrahlung von HEIMAT 1984 erzeugte touristische Interesse die Bewohner des Hunsrück recht überraschend traf, sodass zum Beispiel die Woppenrother notdürftig Tapeziertische aufbauten, wo sie Selbstgebackenes und Getränke verkauften, so sind sie nun auf die Anreise an den Filmen interessierter Menschen gut vorbereitet. Beispielsweise hat man an allen wichtigen Drehorten Informationstafeln angebracht, und die Schabbacher Kultur- und Heimatfreunde bieten Interessierten gerne Führungen und Besichtigungen an.

Wenn es ein herausstechendes Markenzeichen des Hunsrücks gibt, dann ist es die wundervolle Landschaft. Jeder, der schon einmal dort war, wird das bestätigen können, “wie im Bilderbuch”, und so lohnt es sich immer, die Kamera mit auf Fahrt zu nehmen.

Der Rhein-Hunsrück-Kreis deckt mit 991,2 km² gut ein Drittel der Fläche des Hunsrück ab. Seine Fläche ist etwa zu 44 % bewaldet, rund 42 % werden landwirtschaftlich genutzt und 12 % dienen als Siedlungs- und Verkehrsfläche. Die Bevölkerungsdichte beträgt 104 Einwohner/km².2 Zum Vergleich: Der Bundesschnitt liegt mehr als doppelt so hoch, bei etwa 233 Einwohner/km².3

Bevölkerung

Die Einwohnern hat ein gewisser Sigismund Rottensteiner einst wie folgt charakterisiert: „Die Hunsrücker sind heimtückisch, maulfaul, starrsinnig, diebisch und verschlagen.“ 4 Und die Bezeichnung als “diebisches Bergvolk” hat es sogar bis auf T-Shirts geschafft.

Nichts davon kann ich auch nur ansatzweise bestätigen. Ich bin 1998 zum ersten Mal in den Hunsrück gereist, und seitdem fast jedes Jahr mindestens für eine Stippvisite vor Ort gewesen. Mein ursprüngliches Interesse war es, möglichst viel über HEIMAT herauszufinden, zu dokumentieren und zu sammeln. Aber was sich schon nach kurzer Zeit zeigte war, wie sehr mich die Menschen und Landschaft dort ansprachen. Meine HEIMAT-Recherchen und die Teilnahme an Veranstaltungen hat dazu geführt, dass ich eine Vielzahl lieber Menschen kennen lernen durfte, die sich allesamt offen und herzlich zeigten. So sind meine Reisen dorthin längst keine Fahrten von Ort zu Ort mehr, sondern von Mensch zu Mensch. Ich habe dort viele gute Bekannte und sogar Freunde gewinnen dürfen. Etwas schöneres hätte mir die intensive Beschäftigung mit den Filmen nicht schenken können.

Matthias Eberling beschreibt die Sozialgeschichte des Hunsrück wie folgt (4):

Der Hunsrück gilt als raue, herbe Landschaft. Umgeben von den sonnigen Weinanbaugebieten an Rhein, Mosel und Nahe liegt der dichtbewaldete Bergrücken, auf dem die Winter lang und hart sind. Noch im 19. Jahrhundert war der Hunsrück kaum erschlossen, nur wenige Straßen führten durch die menschenleere Ödnis. Während es am Rhein geschäftig zuging, waren die Dörfer des Hunsrücks praktisch von der Außenwelt abgeschlossen und wurden von den Nachbarn gemieden. „Lieber fünfmal an der Mosel abgesoffen als einmal auf dem Hunsrück übernachtet“, sagt man noch heute.

Einsamkeit und Armut prägten den Charakter des Hunsrückers über viele Jahrhunderte. Ihre Abgeschiedenheit macht die Region zum Anziehungspunkt für soziale Randgruppen und Kriminelle. „Gesindel“ und „Räuber“ trieben ihr Unwesen in den unwegsamen Wäldern. Berühmt wurde der Räuberhauptmann Johannes Bückler alias Schinderhannes, der 1803 im damals französischen Mainz hingerichtet wurde. Er überfiel Postkutschen und Geschäftsleute, stahl Pferde und flüchtete etliche Male aus dem Gefängnis. Dazu kamen Schießereien, Schutzgelderpressung und Einbrüche.

Die Hunsrücker sind seit alters her bei ihren Nachbarn als kleines, diebisches und listiges Bergvolk bekannt. Die wohlhabenden Menschen aus den Städten blickten auf sie hinab, angeblich ernährten sie sich von Viehdiebstahl und Holzklau. Andererseits galten sie auch als zäh und fleißig. Viele bettelarme Hunsrücker verließen im 19. Jahrhundert ihre Heimatdörfer und wanderten nach Südamerika aus, vor allem nach Brasilien. Ihre Beharrlichkeit und Bedürfnislosigkeit waren in der Fremde von großem Nutzen.

Der Hunsrück wandelte sich, als dort nach dem Zweiten Weltkrieg amerikanische Truppen stationiert wurden. Base-Caps, Holzfällerhemden und Pick-ups hielten Einzug in der Region – und damit sind nicht nur die G.I.s gemeint. Die verschlossenen Hunsrücker kamen in Kontakt mit Fremden aller Hautfarben. Sie begannen, sich zu öffnen. Die Region wurde verkehrstechnisch erschlossen, die Hunsrücker lernten die Welt außerhalb ihres Mittelgebirges kennen. Heute hat der Hunsrück mit „Frankfurt-Hahn“, früher einmal einer der größten Atomwaffenstützpunkte Europas (Rheinland-Pfalz galt bis in die neunziger Jahre als „Land der Reben, Rüben und Raketen“), sogar einen internationalen Flughafen.

Über die Jahrhunderte hat sich im Hunsrück ein besonderer Dialekt geprägt, der die Filmsprache von HEIMAT und HEIMAT 3 ist: Hunsrücker Platt.

Politische Entwicklung

Die politische Geschichte des Hunsrück liest sich wie eine Achterbahnfahrt. Das Gebiet war oftmals umkämpft, sodass Herrscher und Besitzansprüche häufig wechselten. Römer, Franzosen, Preußen (vgl. hierzu weiterführend die geschichtlichen Hintergründe von Die andere Heimat); nach dem zweiten Weltkrieg dann die die Besatzung durch die Amerikaner, während der in der Region das größte Atomwaffenlager Deutschlands entstand; schließlich nach dem Ende des kalten Krieges und dem Abzug der Amerikaner der Zuzug vieler deutschstämmiger Familien aus den Ländern des zusammenbrechenden Ostblocks. (Die Hunsrücker Friedensbewegung mit ihrer Ikone Karl August Dahl und der Zuzug der Menschen aus Osteuropa werden übrigens durchgängig in HEIMAT 3 thematisiert.) Die politischen Einflüsse führten immer wieder zu Veränderungen auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens und Zusammenlebens und schufen letztlich ein anpassungsfähiges und fremdem gegenüber tolerantes und offenes Volk.

Kulturelles – Der Hunsrück im Film

Der Hunsrück weist eine vielfältige und interessante Kulturszene auf, ein deutlicher Schwerpunkt liegt dabei in der Mundartdichtung und Schauspielkunst. Es gibt zahlreiche Theaterensembles, die oftmals ihre Stücke im Hunsrücker Platt inszenieren. In einer Dokumentation sagte der Woppenrother Bürgermeister Toni Sulzbacher Anfang der 80er Jahre einmal scherzhaft, dass nirgends in Deutschland die Dichte an Schauspielern in der Bevölkerung so hoch sei wie in „Woppert“, wie die Einheimischen ihr Dorf nennen. Der Hunsrück darf zudem auf eine beachtliche Filmgeschichte zurückblicken: Nicht nur die Geschichten aus den Hunsrückdörfern (1981), HEIMAT (1984) und HEIMAT 3 (2004) entstanden in der Region, sondern bereits 1958 der Film Der Schinderhannes mit Curd Jürgens und Maria Schell in den Hauptrollen und 1961 Schwarzer Kies5, beide unter der Regie von Helmut Käutner. Zudem drehte Edgar Reitz bereits 1973 in Simmern Die Reise nach Wien.

Quellenangaben/Anmerkungen:
(1) vgl. wikipedia.de
(2) vgl. Regionalrat Wirtschaft des Rhein-Hunsrück-Kreises. In den benachbarten beiden Landkreisen, deren Gebiet teilweise im Hunsrück liegt, nämlich Bernkastel-Wittlich und Birkenfeld, findet sich eine ähnliche Bevölkerungsdichte (96 bzw. 104 Einwohner/km2).
(3) vgl. statista.de
(4) kiezschreiber.blogspot.com, Autor: Matthias Eberling
(5) Schwarzer Kies ist 2017 von der Murnau-Stiftung (Wiesbaden) digital restauriert worden und auf DVD und blu ray-Disc erhältlich.


Weiterführende Links:

In der Reihe hierzuland des SWR sind zahlreiche Ortsportraits HEIMAT-verbundener Dörfer (z. B. Schlierschied, Gehlweiler, Griebelschied, Maitzborn, Gemünden, …) entstanden.

off topic: Wenn Sie sich für die Geologie des Hunsrück interessieren, empfehle ich die Seite Spuren im Stein – Der Hunsrück des SWR.