Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

HEIMAT 3 im Pro-Winzkino Simmern, 13./14.10.2018

Am vergangenen Wochenende zeigte das Pro-Winzkino im Rahmen der Reihe “Simmern 5” HEIMAT 3. Edgar Reitz begleitete die Veranstaltung vom ersten bis zum letzten Film, und am Samstagabend präsentierte Salome Kammer gemeinsam mit dem Pianisten Rudi Spring einen Chansonabend unter dem Motto “Wenn ich mir was wünschen dürfte”. Aufgeführt wurden unter der Überschrift “Deutsches Kabarett vor dem 2. Weltkrieg” u a. Stücke von Arnold Schönberg, Oscar Straus, Kurt Weill und Friedrich Hollaender (titelgebend), außerdem Eigenkompositionen von Rudi Spring sowie Laut- und Klanggedichte für Stimme solo von Hugo Ball. Das Publikum im gut gefüllten Saal des Simmerner Schlosses zeigte sich begeistert, besonders von Salome Kammers ausdrucksstarker und variantenreicher Darbietung.

Das Kino war mit etwa 60 Interessierten gut gefüllt, und es war eine Freude, HEIMAT 3 wieder einmal großformatig und am Stück genießen zu können. Edgar Reitz schilderte in der Einführung die Schwierigkeiten bei der Entstehung des Filmes, insbesondere die massive Einflussnahme der finanzierenden Fernsehanstalten auf das Projekt. Elf Fassungen des Drehbuchs haben erstellt werden müssen, bis zur Genehmigung habe es 7 Jahre gedauert, mit dem Wermutstropfen, dass das Ergebnis weit von dem entfernt war, was er und sein Co-Autor Thomas Brussig sich eigentlich vorgestellt hatten. Hinzu kam dann noch der Zwang, jede der Folgen auf exakt 90 min zu kürzen, mit dem Ergebnis, dass die Filme niemandem so recht gefallen haben, “und uns auch nicht”, so Edgar Reitz, der den Entstehungsprozess als eines der schwierigsten Kapitel seines Lebens bezeichnete – mit der Konsequenz, dass er seitdem niemals wieder mit Fernsehanstalten zusammengearbeitet hat. Zur Historie der Fernsehausstrahlung und Kürzung 2004 können Sie hier fündig werden, besonders lesenswert der Kommentar ‘Der Quotenfuzzi” des leider inzwischen verstorbenen Peter W. Jansen.

Das Pro-Winzkino zeigte selbstverständlich die “Vollversion” auf original 35-mm-Material – eine Seltenheit und handwerkliche Herausforderung in Zeiten der digitalen Projektionstechnik. Und auch für das leibliche Wohl der Zuschauer sorgte das Team in gewohnter Qualität. Das Publikum zeigte sich äußerst aufgeschlossen und dankbar für diese Rundumbetreuung, “Kino mit Vollpension”. Und auch die Filme selbst erfuhren eine sehr warmherzige Würdigung, zu erkennen an den Reaktionen des Publikums während des Sehens und auch während der Fragerunde zum Abschluss der zwei Tage.
Hierbei wurde unter anderem deutlich, dass die Filme mit dem zeitlichen Abstand auch unter zeitgeschichtlicher Perspektive anders gesehen werden als seinerzeit. Dazu bestätigte Edgar Reitz, es gebe “so eine klassische Distanz in der Erzählkunst, … in der Literatur treffen wir immer auf eine Distanz von mindestens 30 Jahren, … bei HEIMAT 3 haben wir nur 5 oder 6 Jahre, das ist eine Distanz, aus der sich vieles noch nicht klärt, sich noch nicht in der Wertigkeit zeigt, weil das Alltägliche und das Historische noch so ineinader überfließen.”
Reitz bezeichnete den vierten Teil “Allen geht’s gut” als einen Lieblingsteil, bei der Entstehung haben er und sein Team sich am wenigsten dem Einfluss der Redaktionen beugen müssen, hier habe der Film “einen eigenen Rhytmus gefunden”, “so hätte ich es (z. B. mit Blick auf die Übergänge zwischen den Szenen) am allerliebsten dauernd gemacht”.
Eine schöne Anekdote erzählte Reitz im Zusammenhang mit der unbekannten Frau, die auf der Silvesterfeier im letzten Film auftaucht und schließlich ein Kästchen auf einem der Stehtische zurücklässt (“mit dieser Frage habe ich gerechnet”). Es handelt sich um die “scheue Mieterin”, die im gleichen Haus wie Gunnar in Berlin wohnt (siehe Film 2, “die Weltmeister”) und ihm sein Trikot wäscht. Die Geschichte mit dem Kästchen zitiert eine Szene aus Luis Buñuels Film “Belle de jour”, der bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 1967 als bester Film ausgezeichnet wurde. Edgar Reitz wurde seinerzeit für seinen Debutfilm Mahlzeiten mit einem Silbernen Löwen gewürdigt und saß neben Buñuel in der ersten Reihe des Festivalgebäudes. “Dann sagte er zu mir, ich müsse ihm etwas versprechen: Wir wollen keinem verraten, was in dem Kästchen ist. … Vermutlich hat der Filou damit gemeint, es ist nichts drin, und das verraten wir keinem.”
Auch das “Günderrodehaus“, seinerzeit als Filmkulisse genehmigt und mit großem Aufwand “chronologisch falsch herum” zuerst als Runie aufgebaut und dann restauriert kam zur Sprache. Eigentlich hätte das Haus nach Abschluss der Dreharbeiten der Genehmigung entsprechend wieder abgerissen werden müssen, heute ist es ein Juwel im Welterbe Oberes Mittelrheintal.

Abschließend sei das Publikum erwähnt: Eher wenige Menschen aus der Region waren anwesend, dafür viele Menschen mit zum Teil weiter Anreise, z. B. aus den Niederlanden, der Schweiz, München und Berlin. Eine gemeinsame Begeisterung schweißt schnell zusammen, und so kamen alle schnell ins Gespräch miteinander. Besonders in Erinnerung sind mir unter anderem die drei jungen Männer, die, verstreut über das ganze Land lebend, gleichzeitig die Filme ansehen und sich währenddessen digital im Chat darüber austauschen. Das hat mich an die Mailinglistdiskussionen erinnert, die wir im Frühjahr 2006 international zu allen drei Teilen der Trilogie geführt haben, und bereits 2005 zu HEIMAT 3 in Deutschland. Eine schöne Erfahrung zu spüren, dass auch immer mehr jüngere Menschen sich auf diese großartigen Filme einlassen (vgl. hierzu auch die Gedanken im Rahmen des ersten Berichts aus Nürnberg).

Schließlich ein sehr herzlicher Dank an das Team des Pro-Winzkinos für die fürsorgliche Betreuung der beiden Tage, an Salome Kammer und Rudi Spring für den wundervollen Liederabend, und besonders Edgar Reitz für seine interessanten und erhellenden Eräuterungen und Erzählungen und so viele schöne Gespräche im kleinen Rahmen. Hoffentlich gibt es bald wieder einen Anlass, zusammenzukommen.

In Morbach laufen derweil die Bauarbeiten am Kino HEIMAT auf Hochtouren, wo einst die Garage stand, in der Edgar Reitz als Jugendlicher Filme vorführte wie Anton in HEIMAT, entsteht ein multifunktioneller Raum mit 30 Sitzplätzen (siehe auch Eintrag vom 11.6. auf dieser Seite). Eröffnung wird im Januar 2019 sein.

Weitere Bilder finden Sie auf der Facebook-Seite des Pro-Winzinos.