In jedem Teil der HEIMAT-Trilogie kommt eine Silvesterfeier vor: In HEIMAT ist es der Jahreswechsel 1955/56, den Hermännchen und seine große Liebe Klärchen einsam mit Eierlikör und “Kalter Schnauze” am Rheinufer bei Koblenz feiern. Am Neujahrstag 1956 trennen sich ihre Wege für immer. In Die zweite Heimat erleben wir den Jahreswechsel 1963/64 in Schnüsschens Heimatdorf im Hunsrück, wo die ganze Familie, “immerhin 26 Erwachsene un 10 Kinner”, feuchtfröhlich versammelt ist. Und schließlich, als Abschluss der Trilogie, in HEIMAT 3 die große, von Gunnar organisierte Millenniums-Silvesterfeier am Günderrodehaus oberhalb von Oberwesel.
Die Kreise weiten sich, zuerst das einsame, heimliche Pärchen, dann die Großfamilie, schließlich der bunt gemischte Kreis von Verwandten und Schicksalsbegegnungen – ohne den Organisator und als “Mauerspecht” zum Millionär gewordenen Geldgeber Gunnar, der einsam von einer Grußkarte seiner Tochter zu Tränen gerührt in seiner Zelle in Stadelheim einsitzt, dafür mit einer geheimnisvollen Unbekannten, die – eine Reminiszenz an Louis Buñuel – ein geheimnisvolles Kästchen zurücklässt.
Eine in mehrfacher Hinsicht symbolische Bedeutung im Rahmen der einsamen Silvesterfeier 1955/56 hat das Hotel zum Hirsch in Boppard am Rhein, in dem Klärchen vergeblich nach einer Möglichkeit sucht, den Jahreswechsel mit Hermann in Gesellschaft feiern zu können.
Das Fachwerkgebäude mit den zwei großen Erkern und dem Türmchen gehörte einst zu den prächtigsten an der Bopparder Rheinallee. Es wurde 1894 von einem gewissen Theodor Poetters gebaut, überlebte zwei Weltkriege und wurde schließlich 2011, nachdem es jahrelang dem Verfall geweiht war, abgerissen. An seiner Stelle steht heute eine moderne Luxusresidenz.
Die Silvesterfeier 2000 hingegen wird zur Offenbarung der Hoffnungen, Sehnsüchte und Verzweiflungen, beispielsweise für Udo, der nicht genug vom Leben bekommen kann, Dieter, der sich endlich zu outen wagt, und Hermanns Tochter Lulu, die, obwohl sie sich so einfach für ein Leben in Luxus hätte entscheiden können, eine tiefe Leere in sich spürt. “Ihr Blick ist nach innen und auf eine Zukunft gerichtet, die keinerlei Bild entstehen lässt”, heißt es im Drehbuch.1 Einzig Hermann und Clarissa erscheinen ebenso wie Tillmann und Moni (“Das kleine Glück”) gefestigt und am Ende ihrer Suche angekommen.
Somit macht uns besonders ein Jahreswechsel auch immer wieder die Vergänglichkeit und den Wandel der Dinge bewusst: Die der Gebäude in denen wir einst wohnten aber auch unserer selbst und der Menschen um uns herum. Wie viele haben wir zwischen 1843 (Die andere Heimat) und dem Neujahrstag 2000 (HEIMAT 3) kommen und gehen sehen? Wie viele der wundervollen Beteiligten an der Thematik, sei es unter den Filmschaffenden oder im Freundeskreis der Filme, sind schon nicht mehr unter uns? Vielleicht tröstet der Gedanke, dass wir in unserer jeweiligen physischen Form vergänglich sind, die Seelen jedoch ewiglich bestehen und sich auch immer wieder begegnen. Diese Gewissheit ist das Ende der Angst – und der Anfang des Lebens.
Ich wünsche Ihnen allen alles erdenklich Gute für das Jahr 2022.
Bleiben Sie gesund und munter.
Ihr Thomas Hönemann
1 Edgar Reitz: HEIMAT 3. Chronik einer Zeitenwende, München 2004, S. 598