In der heutigen Ausgabe des SPIEGEL (Nr. 37/2022) findet sich ein ausführliches Interview (4 werbefreie Seiten plus Erwähnung in der Hausmitteilung) mit Edgar Reitz anlässlich seiner am Dienstag erscheinenden Autobiographie. Die Redakteure Tobias Becker und Lars-Olav Beier trafen in seinem Haus in München-Schwabing einen trotz abklingender Bronchitis “brillant formulierenden” Edgar Reitz, der ihnen ermüdungsfrei zwei Stunden lang Rede und Antwort stand.
Er berichtet unter anderem interessante Details rund um die Entstehung seiner Memoiren, etwa dass er selbst keine Bilder darin haben wollte (tatsächlich finden sich in dem Buch drei achtseitige Tafelteile) oder dass er den Auszug über seine Hochzeit seiner damaligen Frau Gertrud vorgelegt habe und auch bei ihr die Erinnerung völlig durch den Film, in dem die Hochzeit doch mit völlig anderen Personen an einem völlig anderen Ort zu einer völlig anderen Zeit spiele, überlagert sei.
Die Filme seiner HEIMAT-Trilogie grenzt er von den heutigen Serien deutlich ab: HEIMAT erzähle nicht auf ein Ende hin, folge keiner Spannungsdramaturgie. “Ich habe diese Erzählform immer die epische genannt. Unendliches Erzählen: Das ist mein Ideal.”
“Mit der Heimat hängen im Deutschen lauter Weh-Begriffe zusammen. Fernweh, Heimweh. Alles tut immer weh.”, sagt Edgar Reitz, der vom Fernweh getriebene, und erinnert sich an ein eigenes Heimweh-Erlebnis im zweiten Jahr seines Studiums, als er mit einer starken Grippe im Bett gelegen habe. “Da kam das Heimweh. Aber nicht nach den Eltern, sondern nach unserem Dorfdoktor.”, Doktor Dörr – immerhin dem Mann, der ihn zu Kriegszeiten aus einer furchtbaren Situation, aufgrund einer fehldiagnostizierten Tuberkulose eingegipst im Krankenbett, befreite.
Befragt zu seiner heutigen Haltung zum Begriff Heimat (“Das Gefühl kennt jeder, aber das Wort haben wir.”) sagt er mit Verweis auf die Rechten: “Er fängt schon wieder an zu schimmeln.” Und: “Ein verstümmelter, ideologisch durchsetzter Heimatbegriff wächst nur da, wo die Leute außer ihrem Misthaufen nichts kennen.”
Besonders berührt hat mich ein in dem Artikel enthaltenes Bild aus seinem Arbeitszimmer. Vor einer Regalwand mit säuberlich sortierten und beschrifteten Kästen hängt, mit einem Stück Tesa-Film an einem der Regalböden fixiert, ein Bild von Gernot Roll. Es zeigt ihn unter dem Abdach der Schmiede in Gehlweiler mit einem Huhn in den Händen, fröhlich lachend.
Der Spiegel-Artikel ist leider nicht kostenlos zugänglich. Er ist sowohl in der ab heute erhältlichen Print-Ausgabe als auch online erhältlich.
Die Autobiographie von Edgar Reitz erscheint unter dem Titel Filmzeit, Lebenszeit – Erinnerungen am kommenden Dienstag. An diesem Tag werden sie auf heimat123.de eine ausführliche Rezension finden.
Abbildungsnachweis
- Beitragsbild © Elias Hassos / DER SPIEGEL
- Buchcover © Rowohlt Verlag